- Lynn Blattmann
Skulpturen aus Ton
Seit einigen Jahren versuche ich mich immer wieder an kleineren Skulpturen. Offen gestanden war mir jedoch der Aufwand für Holz und Stein zu hoch. Ich fand das Arbeiten trotz perfektem Maschinenpark in Moniques Atelier zu anstrengend und darum ist mein Elan immer wieder abgeflacht. Ich brachte es zwar zu einigen Specksteinfiguren, aber mir passte der seifige, pudrige und brüchige Stein nie. Man sah den Figuren an, dass sie aus Faulheit entstanden waren, weil es mir zu mühsam gewesen war, einen anständigen Kalkstein zu bearbeiten.
Keramik ältestes Material für menschliche Kreativität
Ende letzten Jahres kam dann die Erleuchtung: Keramik, also Ton oder Lehm als Werkstoff.
Lange hatte ich Ton verspottet als das kreative Teigmaterial für therapeutisches Töpfern, Ton war mir zu weich, zu klebrig, technisch uninteressant. In meinen Augen war das eine Spielknete für Kleinkinder und Bastlerinnen in einem Töpferkurs. Aber nichts für mich.
Wie man sich irren kann. Mein Gesinnungswandel geschah an einem Novembermorgen letztes Jahr im British Museum. Wie immer waren die Säle mit den tollen Friesen aus dem Zweistromland vollgestopft mit mehr oder weniger interessierten Leuten und ich wich in die Keramikabteilung aus. Dort vor den agogisch etwas veralteten Vitrinen begann ich zu begreifen, wie stark die Geschichte der Menschheit durch Keramik geprägt worden ist. Wie wichtig Ton für den Fortschritt und das Überleben in frühen Kulturen war. Die ersten Kochgefässe waren aus Ton, die Krüge, oder die Amphoren. In Tongefässen wurde gekocht, fermentiert und sie dienten der mäusesicheren Aufbewahrung von Oel und Weizen, den Hauptnahrungsmitteln der nun sesshaften Menschen.
Mit der Beherrschung des Feuers wurde der Ton zum wichtigsten Material für das Überleben der Menschheit. Irgendwann begriff ich, dass es kein Zufall war, dass die berühmten kleinen Venusfiguren aus der Steinzeit oft aus Ton waren.
Zufällig gab es gleich neben den etwas trockenen Vitrinen mit der Porzellangeschichte Chinas eine Sonderausstellung mit zeitgenössischer japanischer Keramikkunst. Als ich sie anschaute, war es für mich klar, dass ich mein Material gefunden hatte. Ton.
Damals hatte ich keine Ahnung von der technischen Seite, wusste nicht was Schamottierung, Rakubrand, Engobe oder lerderhart bedeutete, aber das Material hatte mich gefunden.
Es fühlte sich ähnlich an wie damals in Finnland als ich meine ersten Steinpilze fand, es war wie wenn ein schwarzes Tuch weggezogen wird und etwas Neues im Leben plötzlich da ist.
Seit meinem Trip nach London sind wenige Monate vergangen. Die meiste Zeit musste ich wegen eines Kreuzbeinbruchs liegen. Ich konnte nichts tun. Ausser Filme schauen auf dem iPad. Irgendwann hatte ich alle einigermassen guten Filme und Serien gesehen, dann begann ich zu recherchieren über das Arbeiten mit Ton. Ich fand super kreative Künstler aus Wales, Afrikanerinnen, alte Männer aus Japan. Ich lernte einiges über Techniken der Bearbeitung, des Brennens und über verschiedene Tonarten und ihre Eigenschaften. Weil ich eine Schwester habe, die sich in diesen Themen auskennt, schrieb ich ihr ein WhatsApp und fragte sie was sie von Ton als kreativem Material halte.
Ton brachte neuen Zugang zur Schwester
Dazu muss man wissen, dass mein Kontakt zu meiner Schwester seit Jahren fast völlig abgebrochen war. Diese Beziehung war das erste, was der Ton in meinem Leben kittete. Seither schreiben wir einander in eruptiven Whatsappsessions was wir über Künstlerinnen, Exponate, Techniken, etc. denken. Das heisst, ich stelle die Fragen und sie beantwortet sie.
Seit etwas mehr als einer Woche kann ich genügend lange stehen, dass ich am Wochenende wieder ins Atelier darf. Den Ton habe ich mir in Batzen liefern lassen und ich habe mir auf Anraten meiner Schwester einen Drehteller gekauft, damit die Figuren auch von hinten einigermassen gut aussehen. Ich kann es kaum erwarten bis wieder Wochenende ist.
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