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Für Polina in Appenzell

  • Autorenbild: Lynn Blattmann
    Lynn Blattmann
  • 10. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit
Steinway Flügel und Klavier
Steinway Flügel und Klavier

Takis Würger hat mit dem Roman für Polina einen Bestseller gelandet. Ich gebe zu, ich war erstaunt, dass Würger bei Diogenes rauskommt, denn bei Diogenes kommt nur was Qualität hat und sich gut verkauft und ich war mir beim Ersteren nicht so sicher, denn von Würger kannte ich nur Der Club, ein Buch, das ich ich unausgegoren, wenig geschlechtsreflektiert und ärgerlich fand, ich hätte einfach mehr erwartet von so vielen guten Ideen und einem so guten Stoff.

Seither war Würger nicht mehr auf meiner Lieblingsliste der Jungautoren.

Als in unserem Literaturclub Würgers Polina zum Lesen vorgeschlagen wurde, rümpfte ich also die Nase, und habe mir dann nur das Hörbuch besorgt. Offen gestanden habe ich mich nur darauf eingelassen, weil das Buch bei Diogenes erschienen ist und es mich wunder nahm, was an ihm dran ist.


Ein ehrlicher, direkter und schmerzlicher Text

Am Anfang liess ich mich etwas widerwillig in die Geschichte ein und ich stolperte auch über einige markige und ungewöhnliche Sprachbilder, doch bald liess ich los und tauchte in die Geschichte ein. Es geht um zwei vaterlose Geburten und darum, wie die beiden Kinder einander später lieben, aber nicht zueinander finden: weil das Leben quer steht, weil, sie den Mut nicht haben, weil sie nicht richtig miteinander kommunizieren. Die Geschichte ist im Grunde alltäglich und doch berührt sie tief, weil Unvermögen mit so viel Talent gepaart ist und weil Sehnsucht noch keine Liebespraxis begründet und weil innere Fortschritte der Figuren so unendlich mühsam sind und so viel Zeit und Freundschaft brauchen.

Die Hauptfiguren im Roman wachsen einem gerade deswegen ans Herz. Polina, die stolze, kantige Südländerin, die ebenso ungern redet wie Hannes, der etwas tumbe, schmächtige Klaviervirtuose, der lange weder wirklich zum Klavierspiel, noch zu sich selbst findet und stattdessen Flügel transportiert.

Es geht um Verlust und Tod und um das Leben und um die Träume, es geht um Kelimmuster und um tiefe Wünsche, es geht um Freundschaft und um behutsames Wachsen. Für Polina ist ein Buch über das Leben und über die Lebendigkeit, über die Trauer und die Transzendenz. Ich weiss das klingt hochtrabend, aber Würger gelingt es in dem Buch, aufkommenden Kitsch mit Ehrlichkeit wegzubügeln. Ich nehme also alle Vorbehalte zurück und empfehle das Buch warm. Diogenes hatte recht.


Lesung mit Takis Würger in Appenzell

Letzte Woche las ich verwundert im Whatsapp-Chat unserer Neuen Zunft zu Appenzell, dass Takis Würger für eine Lesung in den Kulturraum Ink zu uns ins grüne Hügelland kommt. Natürlich musste ich da hin. Das Publikum bestand aus ca. 25 ergrauten Häuptern und die Lesung war ziemlich improvisiert. Die Interviewerin schien sich kaum mit dem Autoren abgesprochen zu haben und Würger war müde, es war sein letzter Abend nach einer langen Lesereise.

Dennoch war seine Präsenz und seine Unbekümmertheit bemerkenswert, er erzählte von der Sehnsucht nach seiner Frau und von der langen Arbeit am Buch und er las viel und gut aus seinem Manuskript. Er war gesprächiger als seine Hauptfigur Hannes Prager, trug aber dasselbe übergrosse graue Kapuzenshirt wie der Klavierträger, das ihn zu beschützen schien. In der Reihe vor mir sass ein breitschultriger Mann im Appenzellerhemd und links neben mir hing eine Werbung für Piano-fort, Klaviertransport, ein Umzugsunternehmen für Tasteninstrumente aus Herisau.

Am Ende des Abends wurde vom Organisator der Breitschultrige vor mir dem Autor Takis Würger vorgestellt. Er sei ein Klaviertransporteur, der das Buch geschenkt bekommen hat und sich in Hannes Prager wiedererkannt habe. Zuerst fand ich es amüsant, dass ein derat kräftiger Typ sich so in den Hannes hineinversetzen konnte und dass sein Transportunternehmen fast gleich heisst wie das im Roman und dass er den weissen Glas-Flügel auf der improvisierten Bühne hierher transportiert hatte. Aber genau genommen ist das einfach so schräg und zufällig und wunderschön wie das Leben selbst, oder eben wie gute Literatur.


 
 
 

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