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  • Lynn Blattmann

Jens Petersen: Die Haushälterin


Ein berührendes Buch über einen Sechzehnjährigen, der mit seinem alkoholkranken Vater zusammenlebt. Als dieser einen Unfall erleidet, entscheidet sich der Junge, eine Haushälterin einzustellen, die 23jährige Polin Ada.


Was sich dann entwickelt, könnte man eine umgekehrte Ödipusgeschichte nennen.

Beide verlieben sich in die lebenslustige junge Haushälterin, beide werben um sie. Der Junge entwickelt scheu und staunend zum ersten Mal erotische Gefühle für eine erwachsene Frau und ist damit beschäftigt zu verstehen, was mit ihm geschieht. Der Alte zögert nicht. Er setzt auf Geld und auf das ganze Verführungsarsenal älterer Männer. Er instrumentalisiert dafür schamlos auch seinen Jungen. Sein Sohn hat keine Chance.

Hinderlich ist dabei nicht nur das Machtgefälle zwischen den beiden, sondern die Loyalität des Jungen zu seinem Vater, die über die Schmerzgrenze hinaus geht.

In der Geschichte ist der Zerfall stärker als die erwachende Kraft des Jungen. In der Beschreibung dieses Prozesses liegen die stärksten Momente des Buches. Der blasige Speichel des Vaters, als er vom Rettungsdienst abgeholt wird, die Gerüche im Haus, die eitrig werdenden Verschraubungen im Bein des Vaters und die unzähligen alten Möbel aus einer längst vergangenen Zeit. Sie vermitteln der Leserin eine sinnliche Erfahrung der Lebenswelt des Jungen.


Es geht in dem Buch um Männlichkeit, die rissig geworden ist wie ein alter Atomreaktor, deren Zeichen von Eleganz verblassen wie die rahmengenähten Budapester, die der Vater früher getragen hatte. Vor dem Hintergrund dieser dominanten aber untergehenden veralteten Männlichkeit wächst der Junge zum Mann heran.


Es geht aber auch um Weiblichkeit, sie ist unerreichbar wie diejenige der verstorbenen Mutter, die noch in Form von Kämmen, Parfum und Slipeinlagen vorhanden ist. Diese Requisiten werden von neuen Frauen des Vaters benutzt oder aufgebraucht. Auch hier zeigt sich wieder der Zerfall.

Daneben schneit die rätselhafte junge Weiblichkeit Adas ins Haus. Sie ist Haushälterin, Übersetzerin, wilde Partygängerin und auch ein bisschen Prostituierte? Ada ist unberechenbar und nebulös wie das Frauenbild eines 16 Jährigen.


Dieses Buch habe ich gelesen, weil ich seit 50 Jahren Migräne habe und weil ich einen Arzt suche, der mich nicht nach 5 Minuten mit einer Packung Andidepressiva und Magnesiumtabletten heimschickt.


Letztes Jahr stand im Blick, dass Novartis ein Wundermittel gegen Migräne erfunden hat, Aimovig, und dass ein junger Neurologe des Unispitals Zürich sich positiv über dieses Mittel geäussert habe. Der Artikel wurde mir mehrmals von Freunden zugesandt und ich begann zu googeln. Zu meiner Verblüffung fand ich heraus, dass der Neurologe mit dem poetisch norddeutschen Namen auch Schriftsteller ist, und 2009 dafür sogar den begehrten Bachmannpreis bekommen hat.

Wenn der Arzt so gut ist wie der Schriftsteller, werde ich meine Migräne bald los sein.



Nachtrag:

ich habe dann tatsächlich eine Überweisung zu Dr. Jens Petersen bekommen. Als ich Ende Mai 2019 zum Termin kam, hatte Petersen jedoch bereits eine neue Stelle in Bern angetreten und ich habe ihn am Unispital nicht mehr angetroffen. Dafür einen anderen jungen Neurologen mit dem ebenfalls schönen Namen Roland Renzel. Nach 50 Jahren Migräne war er der erste Arzt, der mir nicht zum Üblichen geraten hat. Er hat mir viel Intelligentes über die Krankheit erzählt und mir dann das Wundermittel (Aimovig) verschrieben. Sein Kollege hat mir ein Gratismuster davon direkt gespritzt. Seither sind 7 Wochen vergangen. Es ist die längste völlig migränefreie Zeit in meinem Leben!

Glücklicher könnte ich nur sein, wenn ich dabei auch noch Petersen kennengelernt hätte.

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