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  • Lynn Blattmann

T.C. Boyle: Schattierungen der Sucht


T.C. Boyle habe ich während meines Studiums zufällig als Autor entdeckt. "Grün ist die Hoffnung" hiess das Buch, von ihm, das mich beim Lesen so tief verstört hatte, dass mir sein abgründiger und hintersinniger Humor völlig entgangen ist. Ich bin damals mit dem gescheiterten Hippie namens Felix ins Summercamp nach Nordkalifornien gereist, um mit einer illegalen Marihuanaplantage viel Geld zu machen. Zunehmend fassungslos liess ich mich von der Geschichte immer tiefer in die Hoffnungslosigkeit und den Verrat hineinreissen. Es ging alles schief, was schief gehen konnte, und auch zwischen den Hauptfiguren zählten keine nennenswerten menschlichen Werte mehr. Boyle rechnete auf über 400 Seiten gnadenlos ab. Nichts blieb übrig vom Flower Power und von den Visionen der 70er. Das war für mich an der Grenze des Erträglichen.

Das Gute daran war, dass mich dieses Buch endgültig ins Erwachsenenleben katapultiert hat. Dafür bin ich Boyle bis heute dankbar. Ich habe mich zwar seither nie mehr getraut, ein Buch von ihm zu lesen, zu tief hatte er mich damals eingesogen. Ich liebe aber seine Interviews, da er wirklich etwas zu unserer Gesellschaft zu sagen hat. So heute wieder in der NZZ.

Boyle spricht unter dem Titel "Ich wäre in zwei Wochen ein Junkie" über Sucht und darüber, wie die heutige Zeit auch die Sucht verändert hat. Was er im Titel verschweigt ist, dass er befürchtet in zwei Wochen ohne Arbeit in die Sucht abzugleiten. Arbeit ist für ihn eine entscheidende Voraussetzung für ein suchtfreies und auch sonst freies Leben. Sucht ist in den Augen Boyles heute mit Perspektivenlosigkeit verbunden, nicht mehr mit einer gesellschaftsverändernden Vision wie noch im Roman "Grün ist die Hoffnung". Die Option heisst heute nicht mehr Sucht, oder ein sinnvolles Arbeitsleben wie noch zu T.C. Boyles Jugendzeit, sondern Sucht oder unabgefederte Hoffnungslosigkeit. Um den Menschen wieder eine Perspektive zu geben plädiert Boyle für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm im Sinne von Roosevelt, das vielen Amerikanern in den dreissiger Jahren unter dem Titel New Deal Perspektive gegeben hatte. Boyle fordert sogar Arbeit statt Sozialhilfe, weil dies die Eigeninitiative und das Unternehmerische im Menschen fördert. Mit dieser klaren sozialpolitischen Forderung verlässt er zwar das Gebiet der Literatur, aber er bleibt mir dabei nahe. Erwerbsmöglichkeiten und damit Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen sehe ich als wichtige gesellschaftliche und sozialunternehmerische Aufgabe an. Ich habe die letzten 12 Jahre in diesem Bereich gearbeitet. Wer mehr dazu wissen will, sei verwiesen auf www.sozialfirmen.ch, mein politisches Standbein. Oder auf das Buch "Arbeit für alle", das ich über solche Modelle geschrieben habe.

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