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  • Lynn Blattmann

Leben auf dem Land


Als ich in der Stadt Zürich lebte, konnte ich mir nicht vorstellen, je aufs Land zu ziehen. Nicht weil ich das Land nicht mochte, sondern weil ich glaubte, dass es städtische und ländliche Menschen gibt. Die städtischen schienen mir sympathischer, ich hielt sie und natürlich auch mich für aufgeschlossener, weltoffener, toleranter, moderner. Dann zog ich aufs Land.

Zugegeben, es dauerte eine Weile bis ich nicht mehr geneckt wurde wegen meines Zürcher Dialekts einige Male wurde mir zur Bratwurst auch maliziös Senf angeboten. Viel mehr Schwierigkeiten bot der Wechsel von der Stadt aufs Land nicht. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte, allen Leuten auf der Strasse guten Tag zu sagen und hin und wieder mit dem Nachbarn einen Schwatz zu halten, war es eigentlich fast wie in der Stadt nur mit viel weniger Leuten und etwas mehr Platz überall.

Ich habe einiges verlernt seit ich auf dem Land wohne, ich hetze nicht mehr so und ich bin auch weniger effizient geworden. Oft ertappe ich mich dabei, wie ich lange in den Wald oder auf den See starre und manchmal stehe ich länger im Hauseinang einfach nur um zu riechen wie der frische Regen riecht.

Auf dem Land gibt es mehr Wetter als in der Stadt, Schneeschaufeln, Heuen (wegen der Artenvielfalt) und heulende Winde ums Haus gehören zum Lauf des Jahres ebenso wie die Pilze und die urnäscher Sylvesterchläuse.

Mein Umfeld ist deutlich vielfältiger geworden, ich kenne einige Coronaleugner, SVP-Wählerinnen und kaum deutsch sprechende Ausländer persönlich. Ich bin nicht mehr von ähnlich denkenden Menschen umgeben wie in einem wohligen Schaumbad, aber offen gestanden, ich empfinde es hier als sehr spannend und nicht unangenehm.

Natürlich musste ich auf die Zähne beissen als mit ein Nachbar erklärt hat, dass Corona nur eine Erfindung sei und alle Geimpften einen Chip eingesetzt bekommen hätten, mit dem sie fortan gesteuert werden. Ich habe ihm dann gesagt, ich sei geimpft. Dann hat er mich eine Weile lang misstrauisch angeschaut, aber zwei Bier später war das auch vorbei.

Ich lebe gerne auf dem Land. Früher bin ich oft gereist, weil ich andere Kulturen kennenlernen wollte, heute lebe ich auf dem Land und staune zum Beispiel jeweils im Herbst am Viehmarkt unseres Dorfes, wie viele verschiedene Kulturen bei uns friedlich nebeneinander leben und einander leben lassen. Oft finde ich sogar, dass man da wo ich wohne, in einer klassischen Streusiedlungsgegend sogar toleranter ist als in der Stadt, wo so erbitterte ideologische Diskussionen geführt werden.

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